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Interview - Erneuerbare Energie

„Wir müssen schnell und klug in erneuerbare Energien investieren“

Wie wird in Zukunft unsere Energieversorgung aussehen? Können wir überhaupt energieautark werden?

Prof. Leukefeld: Wenn wir von unserem deutschen Energieversorgungssystem reden, dann ist eine komplette Autarkie weder theoretisch noch praktisch möglich. Die letzten 20 Prozent einer kompletten Autarkie wären von den Investitionen her genau so teuer wie die ersten 80 Prozent. Das wäre wirtschaftlich nicht sinnvoll.

Und was wäre die Alternative?
Es wäre besser, ein Langfristziel bis zum Jahr 2050 zu formulieren, wo wir sagen: 80 Prozent unserer Energieversorgung kommt bis dahin aus erneuerbaren Energien. Das ist realistisch und schaffbar. Und wenn wir dann noch zusätzlich fossile Energien benötigen, wäre das weder ökologisch noch finanziell schlimm.

Und diese angepeilten 80 Prozent werden bei uns erzeugt?
Ja, die werden in Deutschland generiert. Das wäre ein Riesensprung, denn aktuell liegen wir nicht mal bei 20 Prozent, auf den ganzen Energiekuchen bezogen. Strom macht ungefähr ein Viertel aus, Verkehr auch ein Viertel und Wärme ungefähr 50 Prozent.

Und wo liegt Deutschland mit seinen aktuell 20 Prozent im Ländervergleich?
Mit diesem Anteil an erneuerbaren Energie sind wir noch nicht mal EU-Durchschnitt. Etwa 14 Länder liegen vor uns, unter anderem Rumänien. Wir haben ja häufig gehört, dass wir bei erneuerbaren Energien weit vorn liegen, aber da ging es nur um den Kuchenteil Strom. Wärme und Mobilität machen Dreiviertel aus und da ist fast gar nichts passiert. Deshalb müssen wir Schritt für Schritt vorgehen mit dem Ziel, 80 Prozent bis 2050 aus einheimischen, erneuerbaren Energien zu erzeugen.

Also sehen Sie aktuell keine Alternativen zu Gas oder Öl?
Im Moment sehe ich da keine Alternativen. Wenn wir uns zu 80 Prozent aus fossiler Energie versorgen, kommen wir kurzfristig nicht von Gas und Öl weg. Das Hauptproblem in der Krise: Wir brauchen Zeit. Und die Zeit kann man sich nur erkaufen, indem man Erdgas als Brückentechnologie weiter nutzt und parallel planvoll in die erneuerbaren Energien investiert.

Also weiter Erdgas beziehen, aus welchen Quellen auch immer?
Genau! So traurig es auch ist, aber es gibt im Moment kein sauberes Gas, das ethisch und moralisch unbedenklich ist. Dass bedeutet: Wir müssen im Moment alles einkaufen, was auf dem Markt ist.

Ein aktuell heftig diskutiertes Thema ist die Rückkehr zu Atomstrom. Was halten Sie davon?
Wir brauchen Zeit. Wie gesagt, die kann man sich nur erkaufen, wenn man alle Energiequellen nutzt, auch wenn es vielleicht schwerfällt. Das bedeutet: Die Reaktoren auf jeden Fall erst einmal am Netz lassen, damit sich die Preise beruhigen können und parallel klug geplant in erneuerbare Energien investieren. Wir sind in einer Notsituation, da muss schnell gehandelt werden.

Und was ist mit Wasserstoff – wo stehen wir da?
Ganz ehrlich, der Entwicklungsstand ist hinterwäldlerisch! Wir reden seit 30 Jahren über den Durchbruch, aber es wurde nicht investiert. Das russische Gas war zu billig, wir haben uns davon zu abhängig gemacht. Wir haben 20 Jahre verschlafen. Wir hätten heute locker bei einem Anteil von 50 Prozent erneuerbaren Energien sein können, dann hätte die Krise in der Ukraine nicht so durchgeschlagen. Eine nationale Wasserstoffindustrie mit den entsprechenden Investitionen muss dringend entwickelt werden. Das Positive: Mit den alten Gasleitungen besitzen wir eine hervorragende Infrastruktur. Durch die vorhandenen Röhren soll dann der Wasserstoff transportiert werden, um die Leitungen zu nutzen.

Und was sagt der Energieexperte – sind die ganzen Herausforderungen technologisch zu bewältigen und so umzusetzen, dass die Energiepreise nicht weiter explodieren?
Ich bin da sehr optimistisch, wenn mit klugem Sachverstand gehandelt wird. Wichtig ist das systemische Denken, was auf das Erkennen von Zusammenhängen und Wechselwirkungen beruht.

Mit Ihrer Firma entwerfen Sie Projekte für zukünftiges Wohnen. Wie sollte Wohnen, das systemisch geplant ist, denn aussehen?
Grundsätzlich gilt: Weniger ist mehr – der Weg zu wirklich günstigem Wohnen bedeutet vor allem Technikverzicht. Klimagerecht geplante und energetisch hochwertig gebaute Häuser kommen auch ohne eine komplexe, anfällige Technik aus. Damit werden die Baukosten gesenkt und die Wartungskosten bleiben überschaubar.

Welche Heizsysteme bieten sich da an?
Bei unseren Projekten haben wir radikal reduziert und arbeiten nur noch mit Infrarot-Heizungen. Da müssen keine Rohre mehr verlegt werden, sondern nur noch Kabel. Das ist einfach und kostengünstig. Auch wenn sich die Situation beruhigt, wird es in Zukunft immer schwieriger, zeitnah Handwerker zu bekommen. Deshalb muss die Technik möglichst wartungsfrei sein. Das ist bei Wärmepumpen oder Pelletssystemen nicht der Fall. Für unser Konzept brauchen wir nur eine Fachkraft, die die Endgeräte anknipst. Infrarotheizungen haben eine Lebensdauer von 30 Jahren, doppelt so lang wie eine Wärmepumpe.

Das Ziel ist, Häuser zu mindestens 50 Prozent energieautark zu machen. Wie bekommen Sie das hin?
Mit einem Mietshaus im herkömmlichen Sinne hat ein energieautarkes Mehrfamilienhaus nur wenig gemein: Photovoltaikmodule dominieren auf der Dachfläche und an den Balkonbrüstungen und der Parkplatz besitzt eine E-Ladesäule…

Das Haus wird zur Tankstelle für die Mieter…
Genau! Auch wichtig: Energiespeicher für Strom halten die Energie für die Bewohner vor, so dass diese Häuser sogar bis 80 Prozent energieautark sind. Innovative Lösungen vernetzen diese Gebäude – nicht um Energie zu beziehen, sondern um die Energiespeicher des Gebäudes bei Überschüssen zur Verfügung zu stellen und damit die öffentlichen Netze zu entlasten.

Und wie hoch sind die Mieten in solchen autarken Häusern?
Wir haben gerade in Sachsen-Anhalt ein Haus nach diesen Maßgaben saniert. Für elf Euro pro Quadratmeter bekommen die Bewohner eine langfristig stabile und damit kalkulierbare Pauschalmiete mit Energie-Flatrate, die neben Wärme und Strom auch E-Mobilität umfasst. Im Preis sind pro Haus zwei E-Autos enthalten, die gratis getankt werden und von den Mietern nach Voranmeldung genutzt werden können.

Was raten Sie Hausbesitzern, die gerade überlegen, Ihre alte Heizung zu tauschen und zum Beispiel durch eine moderne Wärmepumpe zu ersetzen?
Das würde ich im Moment auf keinen Fall tun. Den alten Kessel zu tauschen ist ein schwerwiegender Eingriff ins Haus, weil ich dann in der Regel mein ganzes Heizsystem anpassen muss. Das ist schnell sehr kostspielig und eine Wärmepumpe läuft zum Beispiel nur dann effizient, wenn eine Fußbodenheizung vorhanden ist. Mein Tipp: Sich Zeit nehmen und im kommenden Jahr eine vernünftige Strategie erarbeiten, wenn sich der Markt hoffentlich ein Stück weit wieder beruhigt hat und die Handwerkerpreise auch wieder normal sind.

Und was ist mit Photovoltaik?
Im Vergleich zu einem komplizierten, kostspieligen Austausch ist eine Photovoltaikanlage schnell installiert und macht eigentlich nichts falsch und hat eine schnelle Entlastung bei den Energiekosten. Das zieht nur einen kleinen bautechnischen Eingriff nach sich, aber ich habe eine Universalenergie, die ich sofort nutzen kann, zum Beispiel für die Heizung. Ich kann sofort mein Duschwasser erwärmen und spare 70 Prozent Haushaltsstrom ein und kann circa 10 Monate im Jahr mein Elektroauto umsonst tanken. In den Wintermonaten wird man mit Solarenergie allerdings nicht auskommen, muss noch normalen Strom einkaufen.

Die große Frage zum Schluss: Bekommen wir die Energiekosten in den Griff oder werden sie weiter steigen?
Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren, um die Menschen, die Haushalte und unsere Wirtschaft zu schützen. Wir müssen vieles neu denken, alles an Gas einkaufen, was der Markt hergibt und auch Themen wie Fracking oder Atomkraft neu bewerten. Wichtig ist, parallel alternative Energien und Konzepte zu fördern. Ich bin optimistisch, dass wir mit klugen Strategien unsere Energieversorgung sichern und die Preise auf ein bezahlbares Niveau zurückkehren.

Zu Person

Timo Leukefeld ist ein deutscher Solartechnikunternehmer, Dozent und Publizist. Für sein Engagement für die Förderung der Nutzung der Sonnenenergie und die Förderung der Kultur durch sein unternehmerisches Engagement wurde er mehrfach ausgezeichnet. Sein Unternehmen, Timo Leukefeld GmbH, berät Politik, Wirtschaft, Banken, Wohnungswirtschaft, Energieversorger und Bauherren bei Zukunftsfragen zu Energie und Ressourcen. Interdisziplinär erforscht er die verschiedensten Modelle, wie Menschen in Zukunft leben werden.

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